Die Elektro-Nachbarn in der „E-Mobility-Allee“

Eine ländliche Straße voller Elektro-Autos – hält das Stromnetz das aus? In der Belchenstraße in Ostfildern bei Stuttgart wird das seit Sommer 2018 unter realen Bedingungen in dem Projekt „E-Mobility-Allee“ getestet. Die Anwohner haben von ihrem Netzbetreiber Netze BW Elektroautos bekommen – und helfen nun dabei, Lösungen für netzfreundliches Laden zu erproben.

Foto: © Christoph Duepper
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Nachbarschaft wird großgeschrieben in der Belchenstraße.

In der Wohnstraße am Rand von Ostfildern bei Stuttgart kennt und hilft man sich. „Jeder kann sich auf jeden verlassen“, sagt Michael Binsch. „Die Kinder spielen zusammen, einmal im Jahr feiern wir Straßenfest.“ Der selbstständige Schreinermeister lebt mit seiner Familie seit sechs Jahren in einem der schmucken Reihenhäuser in der Belchenstraße. Nach hinten raus erstrecken sich Felder und Wiesen. In der Ferne sind die Höhenzüge der Schwäbischen Alb zu sehen. „So viel Wohnqualität finden Sie selten“, schwärmt Michael Binsch. „Wir lieben es hier.“

Siedlung mit Lebensqualität: Die Belchenstraße in Ostfildern liegt mitten im Grünen. Die Anwohner verbindet der Sinn für Natur, Nachbarschaft – und Elektromobilität.
Siedlung mit Lebensqualität: Die Belchenstraße in Ostfildern liegt mitten im Grünen. Die Anwohner verbindet der Sinn für Natur, Nachbarschaft – und Elektromobilität.

Es ist aber nicht nur der Sinn für Nachbarschaft und Natur, der die Anwohner der Belchenstraße verbindet. Zehn der 21 Haushalte beteiligen sich seit Sommer 2018 am Modellprojekt „E-Mobility-Allee“ des regionalen Stromnetzbetreibers Netze BW, der sich intensiv mit dem Thema Elektromobilität auseinandersetzt. Er möchte herausfinden, wie sich Elektroautos auf das lokale Stromnetz auswirken – und was ein Netzbetreiber tun kann, um Engpässe im Netz zu vermeiden, die durch das gleichzeitige Laden vieler Autobatterien entstehen könnten. Dafür hat Netze BW die Belchenstraße als „Reallabor“ für Elektromobilität ausgewählt – und den teilnehmenden Haushalten Elektroautos nebst Ladestationen zur Verfügung gestellt. Michael Binsch fährt seitdem jeden Tag mit einem Renault Zoe zur Arbeit und zu Kunden im Umland. „Mich hat Elektromobilität schon länger interessiert“, sagt der Mittelständler. „Wir bauen die Firma gerade um – und wir überlegen, dort eine Ladestation installieren zu lassen.“ Da passte das Angebot, als Testkunde von Netze BW ein E-Auto ausprobieren zu können.

Mein Freund, das Elektroauto: Michael Binsch fährt jeden Tag in seine Firma und zu Kunden im Umland. Ihn habe Elektromobilität schon länger interessiert, sagt er.
Mein Freund, das Elektroauto: Michael Binsch fährt jeden Tag in seine Firma und zu Kunden im Umland. Ihn habe Elektromobilität schon länger interessiert, sagt er.

Die „E-Mobility-Allee“ als kleiner Härtetest der Stromnetze

Das Projekt „E-Mobility-Allee“ greift vor auf eine Zeit, in der Elektromobilität in Deutschland boomt. „Als Netzbetreiber sind wir gefordert“, sagt Levin Ratajczak, stellvertretender Projektleiter bei Netze BW. „Wir müssen uns frühzeitig Gedanken darüber machen, wie wir unser Netz auf künftige Ladebedarfe und das Lademanagement von E-Autos vorbereiten.“ Er geht davon aus, dass sich Elektroautos zuerst vor allem in Siedlungen wie der Belchenstraße durchsetzen werden: „Haushalte in den Einzugsgebieten der Großstädte mit viel privatem Parkraum werden Vorreiter bei der Elektromobilität sein.“

»Ich als Kunde merke nichts davon – und am Morgen ist die Batterie wieder vollgeladen.«

Kristian Kobasic, Kunde
Pendeln geht auch elektrisch: Kristian Kobasic legt jeden Tag 30 Kilometer zur Arbeit zurück. Er habe die Vorzüge der Elektromobiltät kennengelernt, sagt er.
Pendeln geht auch elektrisch: Kristian Kobasic legt jeden Tag 30 Kilometer zur Arbeit zurück. Er habe die Vorzüge der Elektromobiltät kennengelernt, sagt er.

Viele Familien wohnen dort, Rentner – und typische Pendler wie Kristian Kobasic. Der 40-jährige IT-Manager lebt mit seiner Familie seit fünf Jahren in der Belchenstraße, arbeitet in der Stuttgarter Innenstadt, legt dafür jeden Tag 30 Kilometer zurück. Seit Sommer 2018 ebenfalls in einem Elektroauto von Netze BW, einem E-Golf. Als das Projekt begann, habe er sich schon schmunzelnd gefragt, ob das Stromnetz vor Ort so viele E-Autos vertrage: „Müssen wir Angst haben, dass der Wasserkocher ausgeht, wenn wir alle gleichzeitig laden?“ Inzwischen sieht er das entspannt. Denn das Ladeverhalten in der „E-Mobility-Allee“ ist sehr unterschiedlich. Er selbst lädt alle drei Tage jeweils am frühen Abend. Michael Binsch ist später am Abend dran, dafür aber jeden Tag. Andere Nachbarn gehen regelmäßig mittags an die Wallbox. Netze BW hat gemessen: Bislang haben nie mehr als fünf der zehn Fahrzeuge gleichzeitig geladen. „Dadurch ist die Netzbelastung auch weniger hoch als befürchtet“, sagt Levin Ratajczak.

Entspannt laden: Das Stromnetz in der Belchenstraße hält die vielen Elektroautos aus. Bisher haben nie mehr als fünf der zehn Testfahrzeuge gleichzeitig geladen.
Entspannt laden: Das Stromnetz in der Belchenstraße hält die vielen Elektroautos aus. Bisher haben nie mehr als fünf der zehn Testfahrzeuge gleichzeitig geladen.

Klar ist allerdings: Auf die städtischen Stromnetze werden langfristig höhere Belastungen zukommen, wenn die Elektromobilität boomt – mit dem Risiko zumindest lokaler Netzengpässe. Um Stromkreise wie in der Belchenstraße fitter zu machen, könnte Netze BW Schaltanlagen und Leitungen verstärken. „Ein solcher Netzausbau ist nicht immer kurzfristig möglich“, sagt Ingenieur Ratajczak. „Wir testen deshalb auch intelligentes Lademanagement für E-Autos.“ Dafür braucht es neben intelligenten Ladestationen auch eine Kommunikation zum Netzbetreiber. Sie kann Ladezeiten und -mengen in einem mit dem Kunden vereinbarten Rahmen beeinflussen.

Die Wallbox, dein Freund und Helfer: Die Ladestation spielt eine wichtige Rolle beim intelligenten Lademanagement. Über sie kann das Fahrzeug mit dem Stromnetz kommunizieren.
Die Wallbox, dein Freund und Helfer: Die Ladestation spielt eine wichtige Rolle beim intelligenten Lademanagement. Über sie kann das Fahrzeug mit dem Stromnetz kommunizieren.

Unterschiedliche Bedürfnisse fordern das Stromnetz heraus

Dazu gehört auch, Batterien zeitversetzt zu laden. Das Potenzial ist gewaltig: In der Belchenstraße hängt jedes E-Auto im Schnitt siebeneinhalb Stunden an der Ladestation, die Ladevorgänge dauern aber durchschnittlich nur knapp zweieinhalb Stunden. Das bedeutet: Kristian Kobasic und Michael Binsch können dem Lademanagement-System bis zu dreimal so viel Zeit zum Laden ihres E-Autos geben, als die Ladevorgänge effektiv benötigen. Diese Flexibilität kann das System wiederum nutzen, um die Autos dann zu laden, wenn Preis und Netzbelastung am geringsten sind. „Ich als Kunde merke nichts davon – und am Morgen ist die Batterie wieder vollgeladen“, sagt Kristian Kobasic.

Netze BW hat das Lademanagement-System verschiedene Varianten durchspielen lassen. So sind die E-Autos in der Belchenstraße mal gruppenweise, mal mit zeitlichen Vorgaben geladen worden. Zusätzlich stellt der Netzbetreiber seinen Testkunden eine App zur Verfügung, mit der sie einsehen können, wann wie viel Ladeleistung zur Verfügung steht. Für Michael Binsch eine sinnvolle Sache: „Ich fahre ja nicht jeden Tag 250 Kilometer.“ Für Tage, an denen man mit geringer Ladung nach Hause kommt und sofort wieder losmuss, gibt es einen „Sofortknopf“: Er erlaubt die uneingeschränkte Aufladung der Batterie. „Eine ideale Ergänzung“, findet Kristian Kobasic.

»Wir müssen uns frühzeitig Gedanken darüber machen, wie wir unser Netz auf künftige Ladebedarfe vorbereiten.«

Levin Ratajczak, stellvertretender Projektleiter bei Netze BW

Intelligentes Lademanagement für Elektroautos

Das gilt auch für den Batteriespeicher, den einer der Nachbarn in der Garage nutzt. „Mit seiner Hilfe kann mehr Strom aus dem Netz entnommen werden, als momentan benötigt wird“, erklärt Levin Ratajczak. Der Speicher könne den Strom dann zu Zeiten ans Auto abgeben, in denen das Stromnetz stark belastet sei. „Dadurch lassen sich Eingriffe in tatsächliche Ladevorgänge vermeiden, wie sie etwa bei Engpässen im Netz nötig wären.“ Auch diese Fälle lässt Netze BW das Lademanagement-System durchspielen: Wird eine bestimmten Strommenge im Stromkreis überschritten, reduziert das System schrittweise die Lademengen, bis die Gesamtbelastung wieder unter den Grenzwert gefallen ist. „Im Testlauf hat das gut funktioniert“, so Ratajczak.

Test unter realen Bedingungen: Levin Ratajczak von Netze BW ist mit dem bisherigen Projektverlauf zufrieden. Sein Unternehmen wolle das Stromnetz auf künftige Ladebedarfe vorbereiten.
Test unter realen Bedingungen: Levin Ratajczak von Netze BW ist mit dem bisherigen Projektverlauf zufrieden. Sein Unternehmen wolle das Stromnetz auf künftige Ladebedarfe vorbereiten.

Der Ingenieur ist mit dem bisherigen Verlauf des Projekts „E-Mobility-Allee“ daher zufrieden. Bis Oktober 2019 sollen die Tests fortgesetzt werden. Dann werden die Anwohner ihre Elektroautos wieder abgeben. Teilweise schweren Herzens. „Wir haben ja die Vorzüge der Elektromobilität kennengelernt“, sagt Kristian Kobasic. „Den Fahrspaß etwa und die Chance, zu Hause relativ bequem laden zu können.“ Der Pendler überlegt inzwischen, sich nach Abschluss des Projekts ein eigenes E-Auto zu kaufen. Auch Michael Binsch liebäugelt damit.

Beim nächsten Straßenfest im Sommer werden sie sicherlich in größerer Runde darüber diskutieren. Da sind sich die E-Mobilisten aus der Belchenstraße sicher. Die Planungen für das Fest laufen bereits. Nachbarschaft will gepflegt werden.

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Interview

Elektromobilität gezielt ins Stromsystem integrieren

Wer darüber nachdenkt, ein E-Auto zu kaufen, kann daraufvertrauen, dass das Stromnetz der Belastung durch die Elektromobilität standhält. „Das Stromnetz steht als Rückgrat für eine komfortable und zuverlässige Ladeinfrastruktur zur Verfügung“, sagt Heike Kerber, Geschäftsführerin des VDE FNN.