Elektromobilität gezielt ins Stromsystem integrieren

Wer darüber nachdenkt, ein E-Auto zu kaufen, kann daraufvertrauen, dass das Stromnetz der Belastung durch die Elektromobilität standhält. „Das Stromnetz steht als Rückgrat für eine komfortable und zuverlässige Ladeinfrastruktur zur Verfügung“, sagt Heike Kerber, Geschäftsführerin des VDE FNN.

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Einfach den Schalter drücken – und das Licht geht an. Was für die meisten Menschen selbstverständlich ist, fand Heike Kerber schon als Kind faszinierend. Sie studierte Elektrotechnik, um herauszufinden, was dahintersteckt. Inzwischen führt sie seit zehn Jahren die Geschäfte des Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE (VDE FNN). Dem Forum gehören mehr als 450 Unternehmen an, die für das deutsche Stromnetz arbeiten. Das Forum ist Teil des großen Technologieverbandes VDE.

Frau Kerber, immer mehr Autofahrer denken darüber nach, ein E-Auto zu kaufen. Woher kommt der Strom für die Elektromobilität?

Wie immer aus dem Netz und aus der Steckdose (lacht). Nur sind es besondere Steckdosen mit speziellen Ladesystemen sowohl zu Hause als auch unterwegs. Das Netz transportiert den Strom von dort heran, wo er erzeugt wird. Das können Windkraft- und Solaranlagen sein oder konventionelle Kraftwerke, die zum Beispiel Gas verbrennen. Derzeit stammen 36 Prozent des genutzten Stroms aus erneuerbaren Energien, bis 2050 sollen es 80 Prozent sein. Das hat die Bundesregierung als Ziel der Energiewende festgelegt. Elektromobilität wird also immer umweltfreundlicher.

Das bedeutet auch: Wer Strom tanken will, braucht ein starkes Netz.

Definitiv. Der Ausbau einer komfortablen Ladeinfrastruktur ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich mehr Menschen entscheiden, auf ein E-Auto umzusteigen. Mit dem Stromnetz steht in Deutschland dafür heute bereits ein sehr zuverlässiges Rückgrat zur Verfügung.

»Derzeit stammen 36 Prozent des genutzten Stroms aus erneuerbaren Energien, bis 2050 sollen es 80 Prozent sein.«

Reicht der Strom für alle, wenn jeder ein E-Auto fährt und das Stromnetz so einer höheren Belastung aussetzt?

Ja, es ist genug für alle da. Zumal die Elektromobilität in Deutschland ja langsam anfährt und sich auch die Technologie noch entwickelt. Nur müssen sich alle, die mit dem Stromnetz zu tun haben, jetzt schon darauf vorbereiten, dass das Netz einmal Millionen E-Autos versorgen soll. Das ist uns als VDE FNN wichtig. Wir haben in Deutschland ein zuverlässiges Netz zu moderaten Preisen – und das soll so bleiben. Daher müssen wir das Stromnetz vorausschauend weiterentwickeln und es fit machen für flächendeckende Elektromobilität.

Wo setzen Sie an?

Als VDE FNN geht es uns vor allem um die Technik im und am Stromnetz und die Regeln, nach denen das System aus Netz, Kunden- und Erzeugungsanlagen funktioniert: Welche Fähigkeiten benötigen wir im System, um die großen Kraftwerke zu ersetzen? Welche Rolle spielen kleine und große Erzeugungsanlagen zum Beispiel im Fehlerfall? Wie genau sollen Windräder oder PV-Anlagen oder Ladesysteme reagieren, wenn es Probleme im Netz gibt? All das muss detailliert geklärt werden, damit die Stromversorgung zuverlässig funktioniert und die Verantwortung fair verteilt ist. Das muss vor allem auch vorausschauend geklärt werden, damit nicht im Nachhinein teure Korrekturen vorgenommen werden müssen. Dabei müssen wir berücksichtigen, dass sich das gesamte System aus Stromnetz, Energieerzeugung und -verbrauch im Umbruch befindet.

Heike Kerber, Geschäftsführerin des Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE (VDE|FNN) im Gespräch.
Heike Kerber im Gespräch.

Wo liegen dabei die Herausforderungen?

Aufgabe des Netzes ist es, Haushalte und Unternehmen zuverlässig mit Strom, zunehmend aus Erneuerbaren, zu versorgen. Dazu muss in jedem Moment genauso viel Strom erzeugt wie verbraucht werden und umgekehrt. Mit konventionellen Kraftwerken in der Nähe der Industriezentren und Ballungsräume war das früher relativ einfach. Man fuhr die Kraftwerke je nach erwartetem Verbrauch hoch oder herunter. Im Zuge der Energiewende speisen künftig vor allem Windkraft- und Solaranlagen Energie ins Netz ein – und das wetterabhängig stark schwankend und oft weit weg von dort, wo der Strom verbraucht wird. Das wirft viele Fragen auf: Wie deckt man bei Flaute oder Dunkelheit – auch über mehrere Tage – den Verbrauch ab? Wohin mit überschüssigem Strom an wind- und sonnenreichen Tagen? Wie stark müssen wir das Netz ausbauen? Das alles lässt sich planen und steuern, genau das wird aber immer schwieriger. Die große Herausforderung wird sein, genug Flexibilität ins System hineinzubekommen, um mit den Schwankungen der Erneuerbaren umzugehen. Das ist eine Frage des Anreizes und des Marktes. Die zweite Herausforderung ist, dafür das Netz vorbereitet zu haben.

Welche Rolle spielen E-Autos dabei?

Aus Sicht des Stromnetzes ist ein E-Auto zunächst einmal ein neuer, mobiler Stromverbraucher mit relativ großer Leistung und hohem – schwer planbarem – Energiebedarf. Das macht die Aufgabe, Energieerzeugung und -verbrauch jederzeit im Gleichgewicht zu halten, erstmal komplexer. Durch die E-Mobilität bedingte Ladevorgänge sind für das Stromnetz eine zusätzliche Belastung und können weiteren Netzausbau notwendig machen. Das muss aber nicht sein, wenn Elektromobilität vorausschauend und gezielt ins Stromsystem integriert wird.

Wie geladen wird, soll – wie bei allen anderen Geräten des täglichen Lebens auch – dem Kunden beziehungsweise dem Markt überlassen werden. Aber wenn Engpässe im Netz bestehen, muss dies berücksichtigt werden. Das heißt, die Steuerung der Ladevorgänge muss auch Netzsignale berücksichtigen können. Zusätzlich können Elektroautos auch die für die Energiewende dringend benötigte Flexibilität bereitstellen, um mit den Schwankungen der Erneuerbaren umzugehen.

Wie kann das gelingen?

Etwa indem die Batterien dann geladen werden, wenn Erneuerbare viel einspeisen und es für das Stromnetz am verträglichsten ist. Es ist zu erwarten, dass sehr viele Autofahrer am frühen Abend gleichzeitig tanken, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommen – oder wenn der Strompreis gerade niedrig ist. In solchen Fällen kann es zu Engpässen im Netz kommen. Wenn dagegen zeitlich versetzt geladen wird, wird das Stromnetz entlastet – bei gleichbleibendem Komfort. Denn es kommt ja darauf an, dass die Batterie am nächsten Morgen voll ist.

Darüber hinaus können E-Autos bei der Integration Erneuerbarer helfen, indem sie einen Teil der Batteriekapazität zur Verfügung stellen, um Strom aus Erneuerbaren zu speichern und bei Bedarf wieder ins Netz zurück zu speisen. All dies wären Automatismen im Hintergrund, die der Autofahrer kaum bemerkt – die aber dabei helfen, eine zuverlässige Versorgung auf Grundlage wetterabhängiger Erneuerbarer zu realisieren. Den Rahmen dafür schafft der Gesetzgeber. VDE FNN sorgt dafür, dass das Netz und die Anlagen darin zusammen technisch zuverlässig funktionieren.

Heike Kerber im Gespräch.

Wie viele Erneuerbare lassen sich durch solche Flexibilitäten aus der Elektromobilität ins vorhandene Stromnetz holen?

Um diese Frage zu beantworten, bräuchten wir sehr genaue Informationen über die künftige Entwicklung der Elektromobilität in Deutschland: Von wie vielen Elektroautos reden wir wann? Setzen sich reine Elektroautos durch oder Hybridfahrzeuge? Wie groß werden die Akkus der Batterien sein? Wie groß sind die Anreize systemverträglich zu laden? Wird vor allem zu Hause oder an auswärtigen Stromtankstellen geladen? All diese Faktoren beeinflussen Stromflüsse im Netz – und damit auch künftige Bedarfe beim Netzausbau. Wir sind in Gesprächen mit der Bundesregierung und der Automobilindustrie, um zu einem soliden Planungskorridor zu kommen. Fest steht: Je klarer die Prämissen für den Ausbau der Elektromobilität sind, desto weniger muss das Stromnetz ausbaut werden. Gleiches gilt übrigens auch für die Digitalisierung: Je besser Informationen ausgetauscht werden, desto besser lassen sich Vorgänge im Netz steuern. Netzbetreiber können leichter Engpässe im bestehenden Netz managen und Netzkapazitäten besser ausnutzen. Davon werden alle Stromkunden profitieren, denn sie tragen letztlich die Kosten für das Netz.

»Mit dem Stromnetz steht in Deutschland dafür heute bereits ein sehr zuverlässiges Rückgrat zur Verfügung.«

Viele Autofahrer wünschen sich, ihr E-Auto zu Hause zu laden. Geht das an der Steckdose?

Ja, aber das sollte die Ausnahme bleiben. Um das zu erklären, muss ich etwas ausholen. Die Steckdose, die wir für normale Haushaltsgeräte verwenden, nutzt eine Phase. Geräte mit größerer Leistung, wie zum Beispiel Durchlauferwärmer oder mehr und mehr Küchengeräte, werden über drei Phasen angeschlossen. Damit kann man größere Leistungen realisieren – mehr Wasser wird schneller heiß. Gleichzeitig wird die Leistung besser auf die drei vorhandenen Phasen verteilt und gleichmäßig belastet.

Wenn die Phasen ungleich belastet werden, kann dies andere Stromverbraucher stören. Da E-Autos besonders große, leistungsstarke Verbraucher sind und Ladevorgänge auch über längere Zeit stattfinden, ist hier die Nutzung aller drei Phasen besonders wichtig. Zum Vergleich: Ein Induktionskochfeld – dreiphasig angeschlossen – hat bis zu 7,5 Kilowatt, bei E-Autos sprechen wir von 30 und mehr Kilowatt. Als VDE FNN drängen wir darauf, dass der Gesetzgeber das dreiphasige Laden fördert und es zum Standard in der Automobilindustrie wird.

Das klingt, als wäre es nicht schlecht, wenn E-Autofahrer ihre Physik-Kenntnisse auffrischen.

Physik-Kenntnisse schaden nie (lacht). Aber wer heute darüber nachdenkt, ein E-Auto zu kaufen, braucht keinen Physik-Leistungskurs. Die Kunden werden das Stromnetz für das Laden ihrer Elektroautos so selbstverständlich nutzen wie für das Laden ihrer Smartphones. Sie können den Experten des VDE FNN vertrauen, die daran arbeiten, dass Elektromobilität flächendeckend im gesamten Stromnetz möglich ist – komfortabel für Verbraucher, gleichbleibend zuverlässig und mit wirtschaftlichem Augenmaß.

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